Der Highline Sturz

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Meine ersten Highlines bin ich ja wirklich ziemlich "niedergerannt", insofern wars ja nur eine Frage der Zeit bis sich eine Grenze auftut. Und die hab ich gestern gefunden. 


Erster Versuch, nervös, ist schon tieef. Umschalten auf volle Konzentration, starten, nach 2 Schritten der (fast schon erwartete) Sturz, kein Problem.
Wieder rauf, kurz durchschnaufen, wieder starten, schon wesentlich ruhiger. Ein Schritt, zwei Schritte, drei, vier, fünf, ich merk wie ich richtig ins Gehen komm. Achtzehn Schritte, neunzehn, zwanzig, einundzwBANG! Ein Angstschrei entfährt mir erst, als ich spüre daß die Leash greift.


Der Sturz und Stoß kam völlig überraschend, ich bin seitlich nach unten ("warst wie ein Fallschirmspringer in der Luft") und der Fangstoß ist mir in Seite und Hüfte geknallt.
Mit Sternen vor Augen und Angst um meine Wirbelsäule versuch ich mal vorsichtig, ob ich meine Beine noch bewegen kann. Geht zum Glück, puh! Schaukel, schaukel, langsam wirds ein bisschen ruhiger und ich wieder klarer im Kopf. Rauf entlang der Leash und zurück auf festen Boden!! Erster Check: Blessuren an der Hüfte, aber sonst nicht weiter schlimm. Ob ich's nochmal probier? Vielleicht später.

Nach einer längeren Pause mit Plantschen im Bach kommen dann noch ein paar stumpfe Schmerzen zum Vorschein: Husten, niesen tut saumäßig weh, ich kann den Oberkörper nicht richtig drehen, vorbeugen, irgendwas aufheben geht nur mit zusammengebissenen Zähnen. Hm, Michi und Reini sind die Line durchgegangen, es ist also möglich. Ob ichs auch nochmal versuch? Solang ich nicht stürz wird mir nix passieren, beim Gehen tuts nicht weh... Nein, doch zu unsicher, ich leg mich hin und döse kurz weg. Nach ein paar Minuten Schlaf ist der letzte Mut gewichen und ich bin froh daß wir uns ans Abbauen machen.
Sachen abtransportieren, ein erster Radler beim Wirt am Parkplatz, freundliche Worte und die nächsten Pläne - irgendwie zieht alles leicht gedämpft an mir vorbei. "Alles ok, Bernie, hats Dir gefallen?" - Klar, war super. Ich hab mehr gesehen als ich wollte, und das Sprichwort mit Hochmut und Fall geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und daß ich glaub daß es der ganzen Slacklineszene momentan so geht wie mir: ein rasanter Aufstieg, und es ist klar daß eine Grenze kommen wird.

Ich schlepp mich heim, begleitet von guten Wünschen lieber Leute.
Die Freude am Slacken ist grad nicht so nah, aber die Freunde vom Slacken sinds.
Ich stell mich mit Voltaren und ein bisschen Bier ruhig, lausche dazu "Lake Erie Rainfalls" von Jim Brickman, so werd ich zumindest ruhig genug daß ich den Weg ins Bett antrete.
Der Kopf kreist noch lange um den Tag, die Eindrücke waren so vielfältig und intensiv. Was sind die Konsequenzen draus? Ist Highlinen überhaupt was für mich? Soll ich froh sein glimpflich davongekommen zu sein, oder steh ich kurz vorm Durchbruch?

Tiefer Schlaf glättet die Wellen an Gedanken und Gefühlen in Kopf und Bauch, und inzwischen weiß ich (glaub ich) was los war und ist. Es ist wie mit Liebeskummer: beim ersten wundert man sich daß man ihn überhaupt überleben konnte, dann geht man vorsichtiger an die Sache ran, es wird wieder weh tun, immer wieder. Aber man lernt damit umzugehen, weiß daß kein Schmerz von Dauer ist, und daß, wenn man sie braucht, immer Freunde da sind um im richtigen Moment die richtigen Worte zu finden.

Wiedermal bin ich gefallen, und während ich noch unten häng weiß ich daß ich in Wahrheit höher bin als vorher. Weil ich gesehen und akzeptiert habe daß ich fallen kann. Und daß Fallen normal ist. Und ich lernen kann und werde, damit umzugehen.


Ja, es war ein geiler Tag! Einer der besten!

 

Von Bernhard Friedrich, anlässlich der Geschehnisse im Mai 2008